Bilder einer Ausstellung
8. Mai 2008
Durch die Fotoausstellung
der Deutschen UNESCO-Kommission und
des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland
führt
Heidrun Laudel
Architekturhistorikerin
Von einer Reise zurückgekehrt, bin ich vor drei Tagen davon überrascht worden, dass wir die Ausstellung der Deutschen UNESCO-Kommission zu den Welterbestätten in unserem Land jetzt in Dresden haben. Man kann den Initiatoren und denen, welche die praktische Umsetzung in so kurzer Zeit bewältigten, nur herzlich danken.
Über die professionellen Fotos von Hans J. Aubert bringt die Ausstellung auf vergleichsweise einfache und doch eindrucksvolle Weise den Gedanken des „Welterbes“ näher. Und das ist so wichtig, gerade hier in Dresden, wo der Begriff „Welterbe“ einen besonderen Klang hat, wo es nicht selten so scheint, als läge er wie ein Fluch über der Stadt. Die Panoramabilder und die dazugegebenen Kurzbeschreibungen lassen plastisch werden, was die UNESCO im Jahre 1972 bewogen hat, zu einer Konvention zu gelangen, um außergewöhnliche Stätten des Kultur- und Naturerbes unter den Schutz der gesamten Weltgemeinschaft zu stellen.
Die deutschen Welterbestätten werden in der Ausstellung in chronologischer Folge präsentiert, d.h. nach dem Jahr ihrer Aufnahme in die Liste der UNESCO. Es beginnt 1978 mit dem Aachener Dom, dem repräsentativen Zentrum des Karolingischen Reiches, eingebettet das Herzstück, der Pfalzkapelle, Krönungs- und Grabstätte deutscher Könige über Jahrhunderte. Mit ihr, mit der grandios überwölbten Kuppelhalle erwuchs gleichsam aus dem Nichts höchste Baukultur. Es endet vorläufig mit der Nummer 34, der am Donaubogen gelegenen Altstadt von Regensburg, deren Bauten – Brücke, Dom, Fürstensitz und Patrizierburgen (Geschlechtertürme) von der glanzvollen Geschichte der freien Reichsstadt des Hochmittelalters künden und die sich heute als lebendige Universitätsstadt mit niedriger Arbeitslosenzahl präsentiert.
Die Stadt Regensburg hat übrigens jüngst, am 22. April 2008, den Zuschlag für die Koordinierung des europäischen Städtenetzwerkes „Welterbe und Stadtentwicklung“ erhalten. Dresden wäre für dieses Projekt, das sich kurz „HerO“ („Heritage as Opportunity“, deutsch: „Kulturerbe als Chance“) nennt, nicht weniger geeignet gewesen.
Das Jahr 1978 bildete generell den Auftakt. In diesem Jahr wurde die Liste der Welterbestätten eröffnet. Und es ist interessant, welche Stätten neben dem Aachener Dom zum Welterbe erklärt wurden. Hier eine Auswahl:
- die Altstadt von Krakau, die ihre Glanzzeit in der Frühen Neuzeit unter den Jagiellonen erlebte und mit vollem Recht als das bedeutendste Zentrum der Renaissance außerhalb Italien gelten kann;
- eine Wikingersiedlung auf dem zu Kanada gehörenden Neufundland, die einzig sicher nachgewiesene Wikingersiedlung in Nordamerika, die ab 1961 von den Norwegern Helge und Anne-Stine Ingstad ausgegraben wurde;
- der Yellowstone Nationalpark in den Vereinigten Staaten im Bundesstaat Wyoming, der schon 1872 unter Schutz gestellt wurde und damit der älteste Naturpark der Welt ist;
- die Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien, elf monolithische Kirchen, die – überwiegend mehrgeschossig – in rote Basaltlava gemeißelt sind, entstanden im 12./13. Jh., beginnend unter der Regentschaft von Kaiser Gebra Maskal Lalibela;
- die im Pazifischen Ozean gelegenen und zu Ecuador gehörenden Galápagos-Inseln, die durch Darwins Forschungen besonders bekannt geworden sind und wegen eines ungebremsten Tourismus und der Überfischung seit 2007 auf der „Roten Liste“ stehen.
Allein diese Eintragungen im Jahre 1978 zeigen das breite Spektrum, das die Weltorganisation bei der Unter-Schutz-Stellung im Auge hat. Davon zeugen auch die hier komplett dargebotenen Welterbestätten Deutschlands, wenngleich ihr kulturgeschichtlicher Hintergrund ein einheitlicherer ist.
Das Beispiel des Aachener Domes könnte zu dem Schluss verleiten, es ginge vorrangig um bedeutende Bauwerke. Es geht um den ganzen historischen und geistig-kulturellen Kontext, in denen die jeweiligen Bauten stehen, und um die Wurzeln und Wirkungen:
Nehmen wir das Benediktinerkloster Lorsch (751–768) [11], ebenfalls ein Denkmal der Karolingischen Baukunst, älter noch als die Pfalzkapelle. Von ihm hat sich einzig die Torhalle in ihrem ursprünglichen Aussehen erhalten, die wahrscheinlich einen Prozessionsweg abschloss. Sie steht für einen ganzen Baukomplex, für ein kulturelles Zentrum, für eine in Größe und Ausstattung außergewöhnliche Anlage. Davon kündet die erstaunlich reiche Fassade: eine mit Steinmosaik verkleidete Wand, die mit den Säulen- und Pfeilervorlagen, voll ausgebildeten korinthischen Kapitellen römisch-antike Traditionen in das Mittelalter transportiert.
Meist drückt sich die Komplexität schon in der Bezeichnung aus, etwa im Falle von Trier [8], der ältesten Stadt Deutschlands, gegründet 16 v.Chr., zeitweiliger Sitz Kaiser Konstantins, in der die römischen Baudenkmäler (Amphitheater um 100, Porta Nigra vom späten 2. Jh., Kaiserthermen vom Anfang 4. Jh.) und die christlichen Nachfolgebauten (der Dom mit dem charakteristischen Westchor aus der Zeit der Salier Ende des 12. Jh. und die Liebfrauenkirche aus dem 13. Jh.) in gleicher Weise hervortreten.
Schließlich wird die ganze Vielfalt einer städtischen Siedlungsentwicklung dort eingefangen, wo Städte komplett unter Schutz gestellt sind
- die Hansestadt Lübeck [9]
- die Altstadt von Bamberg [13]
- die Altstadt Quedlinburg [16]
- die Altstädte von Stralsund und Wismar [28]
- die Altstadt von Regensburg [34]
Breit ist auch das zeitliche Spektrum.
- Es beginnt mit der Grube Messel bei Darmstadt [18], wo der Ölschiefer die ganze Artenvielfalt an Lebewesen aus dem Eozän (57 bis 36 Millionen Jahre v.Chr.) als Fossilien bewahrt hat: Ein Eldorado nicht nur für Paläontologen, auch für der an der Urgeschichte interessierten Laien.
- Es endet bei den Industriebauten des 19. und 20. Jahrhunderts, bei der „Völklinger Hütte“ im Saarland [17], einem Eisenhüttenwerk aus dem 19. Jahrhundert bzw. bei der Zeche Zollverein in Essen [27], einem Industriekomplex aus den 1920er Jahren, in der Zeit der Klassischen Moderne („Bauhausstil“) errichtet.
Bei einigen der Stätten erschließt sich die kulturelle Komplexität auf den ersten Blick:
- bei der Klosterinsel Reichenau beispielsweise, deren Kirchenbauten aus Karolingischer und Ottonischer Zeit (Marienmünster: um 816 geweiht, St. Georg in Oberzell: 896-913 gebaut, St. Peter und Paul: 799 geweiht) [26] sich heute wie einst auf fruchtbaren, durch Gemüseanbau kultivierten Boden erheben,
- beim Gartenreich Dessau-Wörlitz [25], das Park und wirtschaftliche Anlagen in höchst künstlerischer Weise miteinander vereinigt
- und nicht zuletzt beim Dresdner Elbtal [30], das seine Einzigartigkeit aus dem Zusammenklang von Siedlungs- und Flusslandschaft bezieht.
Damit sind wir bei einem Thema, das uns inzwischen bis zum Überdruss bewegt, weil die ganze Problematik im täglichen Schlagabtausch bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wird. Wo und wann wird denn noch über den eigentlichen Wert gesprochen, der dazu geführt hat, dass die UNESCO dem Elbtal 2004 Welterbetitel verlieh?
Wegen des Brückenbaus, der das Tal an sensibelster Stelle, im Großen Elbbogen, unwiederbringlich zerschneidet (Aachener Gutachten), ist Dresden 2006 auf die „Roten Liste“ der bedrohten Welterbestätten gesetzt worden und nimmt dort eine Sonderstellung ein. Derzeit führt das zwischenstaatliche Komitee der UNESCO für den Schutz des Natur- und Kulturerbes 30 Stätten als „besonders gefährdet“. Beim überwiegenden Teil handelt es sich um Stätten, in denen die UNESCO als internationale Solidargemeinschaft fungiert, in der sie materielle und ideelle Hilfe leistet. Es sind Stätten, die in Ländern der Dritten Welt liegen, wo ihnen Zerstörung durch wirtschaftliche Not, Kriegswirren und Naturkatastrophen droht. Sinnvollerweise sind viele von ihnen – auch auf Antrag der jeweiligen Länder – zugleich mit der Titelverleihung auf die Rote Liste gesetzt worden. Das betrifft u.a.
- das Minarett und die Ruinen von Jam in Afghanistan, wo illegale Grabungen und Bürgerkriegswirren ihre Spuren hinterlassen haben und
- auch die antike assyrische Hauptstadt Assur im Irak, die durch ein Staudamm-Projekt am Ufer des Tigris gefährdet ist.
Letzten Endes waren es solche Besorgnis erregende Entwicklungen, die einzelne Länder allein nicht mehr zu beherrschen in der Lage sind, die zu der internationalen Konvention geführt haben. Wir erinnern uns: Am Anfang stand der Aufruf der UNESCO vom 8. März 1960, die durch den Bau des Assuan-Staudammes vom Nil bedrohten Denkmale in Nubien für die Nachwelt zu retten. Danach verging noch eineinhalb Jahrzehnt bis die Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes, die 1972 in Stockholm verabschiedet wurde, in Kraft trat. Das war 1975.
In diesem Kontext und mit Blick auf die „Rote Liste“ stellt sich Dresden allerdings in ganz anderer, und zwar beschämender Weise als einzigartig dar. Es ist die Stätte, in der führende Politiker sich nicht zu schade sind, öffentlich auf das Welterbe zu pfeifen.
Das war einst ganz anders, als man eben nicht dem allgemeinen Trend folgte, den Fluss zu kanalisieren. Dresden ist nicht zuletzt dafür mit dem Welterbetitel geehrt worden, dass die Stadt ihre Auenlandschaft bewahrt, sie in einen Uferpark verwandelt hat. Mit einer solchen wirklich kreativen Stadtentwicklung macht der Brückenbau, der einem abstrakten und dazu hoffnungslos veralteten Planungsschema folgt, brutal Schluss. Mit ihm setzen Stadt und Land, die doch wohl zu den zivilisierten Regionen unserer Erde gehören, ein deutliches Zeichen, dass sie mit den weltweiten Bemühungen um Bewahrung des Erbes nichts im Sinne haben.