Welterbe entdecken
10. Oktober 2008
von Silva Möller
Der 47. Deutsche Historikertag fand vom 30.09. bis zum 03.10.2008 in Dresden statt. Das Begleitprogramm des Historikertages heißt „Welterbe entdecken.“ Für die Historiker ist das vielleicht die letzte Chance, das Welterbe Dresdner Elbtal zu entdecken – denn wenn der Bau der Waldschlößchenbrücke nicht gestoppt und zurückgebaut wird, wird Dresden nächstes Jahr bei der Tagung des Welterbekomitees von der (roten) Welterbeliste gestrichen. Das beschloss das Welterbekomitee auf seiner 32. Tagung vom 02. bis 10.07.2008 in Quebec.
Warum Dresden auf die Rote Liste kam, zeigt das Gutachten zu den Auswirkungen der WSB der RWTH Aachen vom 15.03.2006 u.a. mit den historischen, touristischen Fernsichten ab Seite 48. Es fällt auf, dass der Blick vom Waldschlößchenpavillion der letzte Blick vom Elbhang über die friedliche Natur der Elbwiesen und den sich schlängelnden Fluss auf die Altstadtsilhouette mit der Frauenkirche war. Alle anderen bei Touristen, Malern und Fotografen beliebten Fernblicke von Osten sind entweder schon lange zugebaut oder zugewachsen. Seit der Bau begonnen hat, drängen sich die Fragmente der neuen Brücke in den Vordergrund dieses wunderbaren Landschaftspanoramas. Allerdings führen erst die beim Wandern im Elbtal verstellten Blickbeziehungen (ab Seite 100) zum entscheidenden Ergebnis auf Seite 111: „Die Waldschlösschenbrücke zerschneidet den zusammenhängenden Landschaftsraum des Elbbogens an der empfindlichsten Stelle irreversibel in zwei Hälften.“
Dies ist ein Problem, das auch die Ergebnisse der vom Mediationsprozess angeregten Perspektivenwerkstatt vom 08.06.2007 nicht lösen können, geschweige denn der sogenannte Burgerentwurf vom 28.01.2008. Deshalb empfiehlt ICOMOS im Monitoring-Bericht vom 05.02.2008 nach der Begutachtung des Burgerentwurfs und der Baustelle einen Tunnel als Kompromiss.
Warum wurde das Dresdner Elbtal nicht gleich dieses Jahr von der Liste gestrichen? Schließlich war das zu befürchten, nachdem Prof. Francesco Bandarin, der Chef des Welterbezentrums, in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung am 10.05.2008 klargestellt hatte: „Wenn Dresden stur ist, sind wir es auch.“ Diese Verärgerung ist das Ergebnis der mangelhaften Zusammenarbeit der offiziellen Stellen von Dresden und Sachsen mit der UNESCO beim Schutz der Welterbestätte „Dresdner Elbtal“ vor der Beschädigung durch das Brückenprojekt am Waldschlößchen.
Entsprechend plädierten Frau Rössler, Abteilungsleiterin für Europa und Nordamerika beim Welterbebüro in Paris, und Susan Denyer von der Denkmalschutzbehörde ICOMOS: „Dresden sollte von der Liste gestrichen werden“, auf Englisch kurz: delisted. So liest man es in einem Tagungsbericht in der Sächsischen Zeitung vom 05.07.2008.
Die Stimmung kippte erst, als der NGO-Vertreter Prof. Ralf Weber im Namen der Dresdner Bürgerinitiativen „Welterbe erhalten“ und „Elbtunnel Dresden“ vom noch offenen Gerichtsverfahren der Grünen Liga gegen den Planfeststellungsbeschluss der Brücke berichtete und vom Elbtunnel, mit dem der außergewöhnliche und universelle Wert des Elbtals erhalten bliebe.
Frau Cameron, die Präsidentin der UNESCO-Tagung, erklärte in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 07.07.2008, warum Dresden schließlich ein weiteres Jahr auf der Roten Liste bleiben darf. Kurz zusammengefasst: Es gab noch Hoffnung, dass der Brückenbau noch nicht unumkehrbar ist, weil es noch ein offenes Gerichtsverfahren gibt, das den Planfeststellungsbeschluss der Brücke aus naturschutzrechtlichen Gründen angreift und das zum gerichtlich verfügten Abriss der Brücke führen könnte. Und Ziel der UNESCO ist es, alles zu tun, um Weltkulturerbe zu schützen. Den Dresdnern sollte nicht voreilig die Chance genommen werden, sich doch noch gegen brückenfreundliche Politiker durchzusetzen.
Diese Dresdner kämpfen mit der UNESCO im Rücken unermüdlich für den Erhalt des Dresdner Welterbes. Sie schieben Mahnwachen, gehen zu Demonstrationen für den Elbtunnel und den Erhalt des Welterbes im Dresdner Elbtal, sammelten über 50.000 Unterschriften für ein neues Bürgerbegehren, schreiben Briefe an Politiker, zogen durch verschiedene deutsche Städte, um mit ihrer Welterbetour um Unterstützung zu werben und sie spenden für die Finanzierung des Gerichtsverfahrens der Grünen Liga gegen den Planfeststellungsbeschluss sowie der anderen Aktivitäten im Kampf um den Erhalt des Welterbes. Auf ihren Websites informieren sie unter anderem über die Bedeutung der UNESCO und des Welterbes und über die von den Bürgerinitiativen angestrebte Tunnellösung, die 2003 von der Stadt Dresden im Rahmen der Planfeststellung für die Brücke in Auftrag gegeben wurde.
Aber es ist ein Kampf wie David gegen Goliath, gegen die Mächtigen im Land, die im Kampf für ihre Brücke alle Register ziehen und auch vor Falschaussagen gegen den Tunnelkompromiss nicht zurückschrecken. Auch die Demokratie beanspruchen die Mächtigen allein für sich, wie der Brief der neuen Oberbürgermeisterin Frau Orosz an Herrn Prof. Bandarin zeigt. Aber auch die Welterbe-Erhalter sind Demokraten, wie Prof. Ralf Weber in einem Antwortbrief, ebenfalls an Herrn Prof. Bandarin, darlegt. Die Mächtigen versuchen der UNESCO allein die Schuld zu geben für die verfahrene Situation im Brückenstreit.
Die Mächtigen berufen sich auf die Bindungswirkung des Bürgerentscheids von 2005, bei dem 2/3 der Abstimmenden für die Brücke waren bei einer Teilnahme von 51%. Aber erst viel später war klar, dass die Brücke das Welterbe beschädigt und Dresden mit dieser Brücke den Titel wieder verliert. Nach der Sächsischen Gemeindeordnung wäre es den Stadträten jederzeit möglich gewesen, mit 2/3-Mehrheit einen neuen Bürgerentscheid zu beschließen und die Bürger bei dieser geänderten Situation erneut zu befragen. Dazu fehlten aber die Stimmen von CDU und FDP.
Die Brückenfans berufen sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes: „In Anbetracht dieses völkerrechtlichen Rahmens ist es verfassungsrechtlich möglich, dass sich der in einer förmlichen Abstimmung festgestellte Bürgerwille, als authentische Ausdrucksform unmittelbarer Demokratie, in einem Konflikt über die planerische Fortentwicklung einer Kulturlandschaft durchsetzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zuvor in einem Verhandlungsprozess erfolglos nach einer Kompromisslösung gesucht wurde.“
Aber während in dem vorangegangenen vom OVG angeordneten Mediationsverfahren noch kein Kompromiss gefunden wurde, könnte es ihn jetzt geben: Nie hat die UNESCO so deutlich gesagt, dass sie den Tunnel als Kompromiss zum Erhalt des außergewöhnlichen und universellen Wertes des Elbtals akzeptieren würde, wie dieses Jahr in Quebec.
Außerdem ist es keineswegs so, dass es eine unveränderliche Mehrheit für die Brücke gibt. Das wichtigste Ergebnis der am 21.08.2008 veröffentlichten repräsentativen Umfrage zum Thema Elbquerung am Waldschlösschen ist, dass fast 55% der Dresdner dem Tunnelbau zustimmen würden unter der Voraussetzung, dass der Bund die Mehrkosten des Tunnelbaus übernimmt.
Die Bundesregierung stellte darüber hinaus als Reaktion auf diesen Gerichtsbeschluss in Ihrem Gutachten vom 16.01.2008 klar, dass die Welterbekonvention sehr wohl hier in Sachsen mit dem Einigungsvertrag in innerstaatliches Recht übernommen wurde und demzufolge die Welterbekonvention auch für Sachsen und Dresden bindend ist: „Damit sind auch die Länder, die sich ja in den vergangenen 32 Jahren in vielen Fällen aktiv und erfolgreich um Aufnahme in die Welterbeliste bemüht haben, an die Welterbekonvention gebunden. Ein zusätzliches Bundesgesetz ist aus Sicht der Bundesregierung für eine innerstaatliche Bindungswirkung der Konvention nicht erforderlich.“
Dennoch, wie aussichtslos die Position der Stadträte der SPD, der Linken und der Grünen im Kampf zum Erhalt des Welterbes und gegen die Waldschlößchenbrücke ist, zeigt „Die Waldschlößchenbrücke – Eine Chronik von Planung und öffentlicher Auseinandersetzung“ in „Dresdner Hefte 94 – Beiträge zur Kulturgeschichte – Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten“ auf den Seiten 70ff. Es wird ein wiederkehrendes Muster deutlich: wenn der Stadtrat mehrheitlich Beschlüsse fasst, die der Brücke gefährlich werden könnten, legt der Oberbürgermeister Widerspruch ein und das Regierungspräsidium erklärt nachfolgend den Beschluss des Stadtrates für ungültig. Dann müssen die Gerichte das Problem lösen und bis dahin ist die Brücke vielleicht fertig.
Als Konsequenz aus dem o.g. Umfrageergebnis und allen anderen Erfahrungen mit der CDU in Stadt- und Landesregierung bitten jetzt die Bürgerinitiativen zum Erhalt des Welterbes um das Einstellen eines zweckgebundenen Titels in den Bundeshaushalt für die die Mehrkosten des Dresdner Elbtunnels, damit man die Finanzierung des Tunnels ohne Mehrkosten für Dresden unabhängig vom Willen der sächsischen Landesregierung als gesichert betrachten kann.
Zur Eröffnung des Historikertages hielten wieder viele Welterbeerhalter vor der Semperoper Mahnwache, um den Bundespräsidenten Horst Köhler zu treffen. Es gelang ihnen, ihm einen Zettel zuzustecken mit den Internetadressen der Webseiten www.welterbe-erhalten.de, und www.elbtunnel-dresden.de und dem Satz:
„Bitte unterstützen Sie uns!“