Ein Lehrstück zur direkten Demokratie
11. November 2008
Wer es verdrießlich findet, dass mit juristischen Tricksereien dafür gesorgt wird, dass der von uns angestrebte Bürgerentscheid nicht stattfinden kann, der sei getröstet: Wenn er denn stattfände, würde er noch lange nicht zwingend etwas bewirken. Wie das? Wird uns nicht permanent von unseren Brückenfreunden erklärt, dass der in einem Bürgerentscheid erklärte Wille der Wähler vorbehaltlos zu respektieren sei?
Keineswegs. Nur eine halbe Stunde Autofahrt von Dresden entfernt – in Leppersdorf – wird uns in einem Lehrstück zum Thema direkte Demokratie vorgeführt, wie leicht es ist, den in einem Bürgerentscheid eindeutig zum Ausdruck gebrachten Bürgerwillen schlicht zu ignorieren.
Die Chronologie der Ereignisse spricht für sich und kann unkommentiert wiedergegeben werden:
- Anfang 2006 wird durch den Gemeinderat Wachau der Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan „Ersatzbrennstoffheizkraftwerk der Sachsenmilch Anlagen Holding AG Leppersdorf“ gefasst.
- Im Juni 2006 gründet sich die Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft – keine Müllverbrennung bei Müllermilch“.
- Im Juli und August 2006 sprechen sich die umliegenden Gemeinden Radeberg, Großröhrsdorf, Lichtenberg sowie Kleinröhrsdorf eindeutig gegen die Errichtung der Müllverbrennungsanlage aus.
- Anfang September 2006 werden in kürzester Zeit Unterschriften von rund zwei Dritteln aller Wahlberechtigten aus Leppersdorf gegen die geplante Müllverbrennungsanlage gesammelt. Am 13.09.2006 diskutiert der Gemeinderat die Möglichkeit eines Bürgerentscheides und beschließt am 11.10.2006 dessen Durchführung.
- Am 10.12.2006 entscheiden sich die Bürger der Gemeinde Wachau beim Bürgerentscheid mit klarer Mehrheit von 65,5% der gültigen Stimmen gegen die Änderung des Bebauungsplanes im Gewerbegebiet Leppersdorf. Damit kann die durch die Firma Sachsenmilch geplante Müllverbrennungsanlage nicht errichtet werden.
- Trotz des klaren Votums beim Bürgerentscheid kursieren ab Juni 2007 Spekulationen über einen neuen Anlauf zum Bau einer Müllverbrennungsanlage. Sie bestätigen sich: Am 10.08.2007 kündigt die Firma Müllermilch an, die Müllverbrennungsanlage an einem neuen Standort, außerhalb des gültigen Bebauungsplanes, nur 300 Meter vom ursprünglich geplanten Ort errichten zu wollen.
- Am 12.09.2007 beschließt der Gemeinderat Wachau die Aufstellung eines Bebauungsplanes für eine Müllverbrennungsanlage am neuen Standort. Die Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft“ beginnt mit der Unterschriftensammlung für einen erneuten Bürgerentscheid.
- Am 18.09.2007 fordert ein Rechtsanwalt die Rechtaufsichtsbehörde des Landkreises Kamenz sowie das Regierungspräsidium Dresden auf, mit Rücksicht auf die Sperrwirkung des Bürgerentscheides vom 10.12.2006 für den sofortigen Abbruch aller weiteren Aktivitäten zum Bau der Müllverbrennungsanlage zu sorgen. Am 01.10.2007 reicht er einen entsprechenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht Dresden ein.
- Am 14.11.2007 reicht die Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft“ im Rahmen der Gemeinderatssitzung ein neues Bürgerbegehren ein, dass sich auf das neue Plangebiet bezieht. Damit werden parallel zur laufenden Klage alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Müllverbrennungsanlage zu verhindern.
- Am 18.12.2007 lehnt das Verwaltungsgericht Dresden den Antrag vom 01.10.2007 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung u.a. mit folgender Begründung ab: „Die Regelungen über den kommunalen Bürgerentscheid und dessen hoher Stellenwert vermitteln dem einzelnen Gemeindebürger nicht das Recht, die Sperrwirkung oder den Vollzug eines Bürgerentscheides gerichtlich durchzusetzen.“ Dem Antragsteller fehlt die Antragsbefugnis. Mit anderen Worten: Der Bürger darf entscheiden, darf aber nicht dafür sorgen, dass seine Entscheidung respektiert wird. Pikant.
- Am 02.01.2008 legt der Rechtsanwalt beim Oberverwaltungsgericht Bautzen Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 18.12.2007 ein.
- Am 13.02.2008 lehnt der Gemeinderat in seiner Sitzung das durch die Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft“ eingereichte neue Bürgerbegehren mit Verweis auf eine sehr umstrittene Stellungnahme der Kommunalaufsichtsbehörde ab.
- Am 19.02.2008 gibt das Sächsische Oberverwaltungsgericht in einer Pressemitteilung bekannt, dass „Aus der Rechtsstellung als Bürger oder Einwohner kein Anspruch auf Beachtung eines Bürgerentscheides folge. Es könne deshalb dahinstehen, ob der … in der Gemeinde Wachau durchgeführte Bürgerentscheid rechtmäßig sei und tatsächlich der Errichtung eines Heizkraftwerkes entgegenstehe.“ Damit bleibt offen, ob das neue Bauvorhaben mit dem demokratischen Bürgerentscheid vom 10.12.2006 angesichts einer Standortverlagerung der Müllverbrennungsanlage von nur 300 Metern vereinbar ist.
- Am 12.03.2008 beschließt der Gemeinderat Wachau ungeachtet der anhängigen juristischen Verfahren die erste öffentliche Auslegung des Bebauungsplanes für die Müllverbrennungsanlage.
- Am 17.09.2008 beschließt der Gemeinderat eine Änderung zum Flächennutzungsplan der Gemeinde Wachau. Dieser Beschluss ist Voraussetzung für den Bau der geplanten Müllverbrennungsanlage am „neuen Standort“.
- Am 11.10.2008 wird ein neuerliches Bürgerbegehren initiiert. Damit wird ein Bürgerentscheid zum Aufstellungsbeschluss des Flächennutzungsplanes vom 17.09.2008 angestrebt.
- Am 18.12.2008 lehnt der Gemeinderat das neuerliche Bürgerbegehren mit offensichtlich unhaltbaren Argumenten ab. Die zuvor mehrfach verschobene Entscheidung des Gemeinderats weckte das Medieninteresse, ein Kamerateam vom MDR filmte die Veranstaltung.
Bemerkenswert sind noch zwei weitere Fakten:
Bei einer Informationsveranstaltung mit Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes, am 14.01.2008 in Kamenz wurde klargestellt, dass angesichts zurückgehender Müllmengen in Deutschland und prognostizierter Überkapazitäten durch neue Müllverbrennungsanlagen zu erwarten ist, dass der Betrieb des „Ersatzbrennstoffheizkraftwerkes“ in Leppersdorf nur mit Müllimporten aus dem Ausland gesichert werden kann.
Die Landrätin Frau Petra Kockert (CDU) positionierte sich im September 2007 in einer Werbebroschüre des Vorhabenträgers dennoch eindeutig positiv zum Bau der Müllverbrennungsanlage. Und es war die CDU-Mehrheit des Gemeinderats, die am 12.09.2007 die Aufstellung des neuen Bebauungsplanes beschloss. Damit wurde der im Bürgerentscheid vom 10.12.2006 dokumentierte Bürgerwille durch die CDU-Fraktion geschlossen ignoriert. Es war auch die CDU-Mehrheit des Gemeinderats, die am 16.01.2008 die Einleitung weiterer Planungsschritte zum neuen Standort der Müllverbrennungsanlage beschloss. Und es war die CDU-Mehrheit des Gemeinderats, die am 13.02.2008 das erneute Bürgerbegehren ablehnte. Ebenso war es die CDU-Mehrheit des Gemeinderats, die am 12.03.2008 die Auslegung des neuen Bebauungsplanes beschloss. Na, und wer beschloss denn wohl am 17.09.2008 die Änderung des Flächennutzungsplans und lehnte am 18.12.2008 das neuerliche Bürgerbegehren ab? Genau: Die CDU-Mehrheit des Gemeinderats.
Nun, das alles braucht uns aber nicht zu sorgen. Zum Glück haben wir ja im Dresdner Stadtrat eine CDU-Fraktion, die den Willen der Bürger respektiert.
Hinweise: Informieren Sie sich selbst auf der Homepage der Interessengemeinschaft „Gesunde Zukunft“! Nehmen Sie am Sternmarsch nach Leppersdorf am 19.11.2008 teil!