Maulbronn profitiert

Ein Lesezeichen von
Eduard Zetera

Das Kloster von Maulbronn gehört zu den deutschen Welterbestätten und ist Gastgeber des fünften Welterbetags am 07.06.2009. Andreas Felchle ist Bürgermeister der 7.000-Seelen-Gemeinde Maulbronn – und steht gewiss nicht in dem Verdacht, von der Dresdner Welterbebewegung „gekauft“ zu sein. Um so bemerkenswerter ist, was er in einem Interview in der Bietigheimer Zeitung vom 06.06.2009 vermerkt:

Wir haben in all den Jahren, in denen Maulbronn auf der Welterbeliste steht, das Gefühl gehabt, dass es uns in erster Linie nicht beschränkt, sondern dass es uns voranbringt.

Das gesamte Interview ist erhellend vor allem für jene, die noch immer nicht den Welterbegedanken verstanden und verinnerlicht haben. Und es enthält u.a. folgende bemerkenswerte Passage:

Felchle: Wir haben zusätzlich erheblichen Aufwand mit dem Landschaftsplan, bei dem alles auf die Denkmalpflege abgestimmt werden musste. Das Weltkulturerbe merkt man schon an allen Ecken und Enden.

Bietigheimer Zeitung: Ist aus diesen Worten eine gewisse Klage herauszuhören?

Felchle: Nein, ganz und gar nicht. Wir sind uns des Status und seiner Verpflichtung bewusst. Dies ist der Unterschied zu Dresden und dem Elbtal.

Fein. Dresden wird von unserer Lokalpolitik (die sich kaum einkriegt vor Stolz, weil bei ihr der amerikanische Präsident ein und aus geht) nicht nur international bis auf die Knochen blamiert – sondern dient inzwischen als Standardbeispiel, wenn es um besonders unkultivierten Umgang mit dem Welterbe der Menschheit geht.


Nachtrag: Da der Beitrag im Online-Angebot der Bietigheimer Zeitung seit dem 07.06.2009 nicht mehr direkt verfügbar ist, lesen Sie Ihn jetzt als pdf-Datei.

Am Rande des Kurzbesuchs von US-Präsident Barack Obama in Dresden wurden Vertreter der internationalen Presse von der Dresdner Welterbebewegung auch über die Hintergründe des Dresdner Brückenstreits informiert. Basisinformation war dabei das Positionspapier der Dresdner Welterbebewegung (pdf-Datei, 35 kB), welches die aktuelle Situation (vor der Entscheidung des UNESCO-Welterbekomitees in Sevilla) aus der Sicht der Welterbebewegung detailliert darstellt.


Nachtrag: Das Positionspapier liegt mittlerweile in einer redaktionell überarbeiteten Version vom 20.06.2009 vor.

Ein Beitrag von
Günter Blobel in
The New York Times
vom 04.06.2009

(Übersetzung)

Auf der jährlichen Tagung der Welterbekomitee der UNESCO am 23. Juni wird voraussichtlich das Dresdner Elbtal aus der Welterbeliste gelöscht.

Dies ist die Folge des Baus einer übergroßen vierspurigen Autostraßenbrücke, die die Welterbestätte „Dresdner Elbtal“ an ihrer empfindlichsten Stelle zerteilt und damit eine der letzten innerstädtischen Flusslandschaften zerstört.

Letztlich verantwortlich für das bevorstehende Elend ist Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst. Als Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union unterließ sie es, die fehlgeleitete Politik ihrer Parteikollegen in Dresden, der Hauptstadt des Bundeslandes Sachsen zu korrigieren. Sie widersprach nicht öffentlich deren zahlreichen Provokationen gegenüber der UNESCO. Und mit ihrer Behauptung, dass es sich um ein „regionales“ Problem handele, ignorierte sie Deutschlands vertragliche Verpflichtungen gegenüber der UNESCO.

Hier ist eine kurze Zusammenfassung des Konflikts. Auf Antrag Sachsens und der Bundesregierung, wurde 2004 von der UNESCO dem Teil des Elbtals, in dem sich Dresden befindet, der Titel „Welterbe“ verliehen. Es ist eine wunderbar erhaltene natürliche Umgebung eines mäandrierenden Fluss, umgeben von weiten Wiesen und sanften Hügeln, mit kulturell bedeutenden jahrhundertealten Villen und Schlössern, die die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs überstanden.

Im Jahr 2005 hat der ADAC gemeinsam mit der Dresdner Niederlassung der Christlich-Demokratischen Union eine Volksabstimmung initiiert. Durch eine Desinformationskampagne gelang es dieser Koalition, die Mehrheit der Stimmen für den Bau einer Autostraßenbrücke inmitten der Welterbestätte zu erhalten.

Mit diesem Abstimmungsergebnis bewaffnet und damit juristisch berechtigt, den Widerstand des Dresdner Stadtrates zu umgehen, ordnete die CDU-Landesregierung von Sachsen den Bau der Brücke an. Im Jahr 2007, reagierte die UNESCO mit einer Warnung, indem sie das Dresdner Elbtal auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturerbe-Stätten setzte. Aber die Regierungskoalition begann mit dem Bau der Brücke im Welterbegebiet reale Tatsachen zu schaffen

Die UNESCO hatte keine andere Wahl, als die Welterbestätte 2008 noch nachdrücklicher auf die Rote Liste zu stellen. Für das Jahr 2009 kündigte die UNESCO an, dass der Welterbetitel genommen wird, wenn der Bau der Brücke nicht gestoppt wird. Aber unvermindert wird der Bau fortgesetzt. Auf zwei Protestbriefe habe ich eine standardisierte Antwort von der Abteilung für kulturelle Angelegenheiten erhalten, es handele sich um ein regionales Thema.

Was steht auf dem Spiel? Nach der nahezu völligen Zerstörung im Feuer des alliierten Bombardements im Februar 1945 glaubten nur wenige Menschen, dass Dresdens Schönheit jemals zurückkäme. Dresdens bedächtiges aber stetiges Wiedererstehen begegnete großer Unterstützung. Nach und nach wurden die meisten der großen Gebäude wieder aufgebaut, was 2005 seinen Höhepunkt im Wiederaufbau der Seele von Dresden, der Frauenkirche, buchstäblich aus einem Haufen von Schutt und Asche fand. Mit ihrer einzigartigen glockenförmigen Kuppel, ist die herrliche Stadtsilhouette wieder erstanden, die durch viele von Bernardo Bellotto berühmten Veduten unsterblich wurde.

Darüber hinaus löste der Wiederaufbau der Frauenkirche breite internationale Unterstützung aus. Besonders durch Amerika und Großbritannien wurden Millionen dazu beigetragen. Dresden wurde ein starkes Symbol der Versöhnung.

Es wird dies das erste Mal sein, dass die UNESCO eine Weltkulturerbestätte aus der Liste von mehreren hundert Stätten löscht. Der Verlust wird ein ernsthafter Makel auf Dresdens Ruf als kulturelle Ikone sein. Dresdens Botschaft für Versöhnung wird deutlich an Wirkung verlieren.

Für Deutschland wird der Schaden sogar noch größer. Hier ist ein reiches Land, das gewaltige Summen ausgibt, eine seiner Welterbestätten zu zerstören, während viele ärmere Länder sich abmühen ihre eigenen zu erhalten.

Was kann getan werden? Bundeskanzlerin Merkel sollte ihren Kollegen in Dresden sagen, dass der Verlust des Titels für das Dresdner Elbtal für Deutschland nicht akzeptabel ist und besonders Dresden schadet.

Günter Blobel, Professor an der Rockefeller Universität in New York City, erhielt den Nobelpreis 1999 in Physiologie und Medizin. Er ist Gründer der „Friends of Dresden“.

Die für morgen, den 04.06.2009, um 20:00 Uhr am Königsufer vorgesehene Kundgebung der Dresdner Welterbebewegung muss an einem anderen Ort stattfinden. Das Ordnungsamt hat eine Veranstaltung am Königsufer aus zwei Gründen nicht genehmigt:

  • Die Fläche gegenüber der Brühlschen Terrasse soll als Hubschrauberlandeplatz freigehalten werden.
  • Der Freistaat Sachsen, dem diese Fläche gehört, möchte derartige Veranstaltungen künftig grundsätzlich unterbinden.

Aus diesem Grund findet die Kundgebung an der Baustelle der Waldschlößchenbrücke, am Elberadweg auf der Neustädter Elbseite, statt.

Kundgebung

Am 04.06.2009 findet um 20:00 Uhr am Königsufer (gegenüber der Brühlschen Terrasse) eine Kundgebung der Welterbebewegung statt. Den Vertretern der internationalen Presse, welche den US-Präsidenten Barack Obama bei seinem Dresden-Besuch begleiten, soll deutlich gemacht werden, dass nicht alle Dresdner den mit der Zerstörung des Welterbe Dresdner Elbtal einhergehenden vorsätzlichen Völkerrechtsbruch Deutschlands widerspruchslos hinnehmen.

Am Vorabend des Welterbetages, am Samstag, dem 06.06.2009, findet in der Zeit von 19:00 bis 21:00 Uhr im Festsaal des Stadtmuseums die Eröffnungsfeier zum 5. – und für Dresden wohlmöglich letzten – Welterbetag statt. Die Rednerliste lässt erwarten, dass nicht nur Erbauliches zu vernehmen seien wird … Interessierten Zuhörern sei ein Besuch der Veranstaltung wärmstens anempfohlen.

Der Artikel 11 der Verfassung des Freistaates Sachsen lautet:

(1) Das Land fördert das kulturelle, das künstlerische und wissenschaftliche Schaffen, die sportliche Betätigung sowie den Austausch auf diesen Gebieten.

(2) Die Teilnahme an der Kultur in ihrer Vielfalt und am Sport ist dem gesamten Volk zu ermöglichen. Zu diesem Zweck werden öffentlich zugängliche Museen, Bibliotheken, Archive, Gedenkstätten, Theater, Sportstätten, musikalische und weitere kulturelle Einrichtungen sowie allgemein zugängliche Universitäten, Hochschulen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen unterhalten.

(3) Denkmale und andere Kulturgüter stehen unter dem Schutz und der Pflege des Landes. Für ihr Verbleiben in Sachsen setzt sich das Land ein.

Am 14.05.2009 sagte Stanislaw Tillich, der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, in seinem Eröffnungsvortrag zur Internationalen Tagung „Kultur als Chance? Konsequenzen des demografischen Wandels für Sachsen“ im Hygiene-Museum Dresden:

Der Staat hat keine ureigene Zuständigkeit für Kultur, genauso wenig wie für Werte, Anstand, Sitte oder Religion.

Das legt folgende Antwort auf die oben formulierte Frage, ob der Sächsische Ministerpräsident die Sächsische Verfassung kennt, nahe:

Nein, er kennt sie nicht.

Der Untunnel

Das Verhältnis der Brückenfreunde zur Tunnelalternative war stets ein schlichtes: ihre Existenz wird verleugnet. Diese Wahrnehmungsverweigerung nimmt neuerlich geradezu skurrile Züge an. Sie durchlief in der Vergangenheit mehrere Phasen, in denen immer aufs Neue Gründe erfunden wurden, warum ein Elbtunnel keine Alternative zum Brückenbau darstellt. Diese Strategie ist wahrlich nicht originell:

Wer etwas verändern will, sucht Wege.
Wer nichts verändern will, sucht Gründe.
Albert Schweitzer

Aber der Reihe nach:

Phase 1: Der Tunnel ist nicht machbar.

Das Argument, eine technisch vernünftige Tunnellösung sei gar nicht denkbar, war im Frühjahr 2008 (etwa zu Beginn unseres Bürgerbegehrens) en vogue. Um es zu untermauern, wurde der so genannte CDU-Tunnel erfunden, der Eingänge in der Dresdner Heide und Notausstiege mitten in den Elbwiesen hatte, für dessen Bau extra frisch sanierte, denkmalgeschützte Villen abgerissen werden müssten und der bei Hochwasser zudem noch volllief. Diese vollkommen abstruse Darstellung wurde und wird von der Bürgerinitiative Pro Waldschlößchenbrücke auf ihren Internetseiten verbreitet, in Form eines Flyers der CDU-Stadtratsfraktion an alle Dresdner Haushalte verteilt und ist von deren Internetauftritt bis heute abrufbar. Doch damit nicht genug: Die mit den Brückenbauern personell verflochtene Ingenieurkammer wurde als vermeintliche Fachinstanz instrumentalisiert, um derart irreführenden Darstellungen auch noch den halbamtlichen Stempel „Geprüft“ aufzudrücken.

Dem Spuk wurde im März 2008 durch die Fachklausur zum Elbtunnel an der TU Dresden ein Ende bereitet. Hier stellte eine international besetzte Runde mit hochkarätigen und unabhängigen Fachleuten fest, dass der Elbtunnel eine vernünftige und mit absolut vertretbarem Aufwand zu realisierende Alternative zum Brückenbau darstellt. Seither ist es nicht nur um die Ingenieurkammer still geworden. Selbst hartgesottene Brückenfreunde akzeptieren mittlerweile, dass sie sich mit dieser Argumentation lächerlich machen.

Phase 2: Der Tunnel ist nicht finanzierbar.

Solide Schätzungen der Mehrkosten, die eine Umwandlung des Brückenprojekts in einen Tunnelbau mit sich bringen würden, beliefen sich stets auf ca. 30 Mio. €. Die Brückenfreunde sehen das selbstverständlich ganz anders: am häufigsten verbreitet wird die Zahl von 100 Mio. €; der Dresdner CDU-Chef Lars Rohwer verstieg sich in seinem legendären Interview nach der UNESCO-Entscheidung im Juli 2008 sogar zu der Angabe von 201 Mio. €. Zur gleichen Zeit sprach ein von der Landeshauptstadt bestellter Gutachter im Verfahren der Naturschutzverbände vor dem Verwaltungsgericht Dresden von Mehrkosten in der Höhe von 29 bis 36 Mio. €. Wem ist da wohl mehr Glauben zu schenken?

Die Diskussion um die Mehrkosten der Tunnelalternative ist aber noch in anderer Hinsicht brisant: Schon während der Unterschriftensammlung zum Elbtunnel-Bürgerbegehren mutmaßte das im Auftrag der Landesregierung handelnde Regierungspräsidium, das Bürgerbegehren werde voraussichtlich an einem unzureichenden Kostendeckungsvorschlag scheitern. Und so lautete denn auch eines der zentralen Argumente, mit denen das Regierungspräsidium seine Auffassung von der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens begründete, sinngemäß: die Initiatoren hätten es versäumt, gemeinsam mit den Unterschriften gleich noch die fehlenden 30 Mio. € auf den Tisch zu packen. Die gleiche Landesregierung war es in der Folge, die sich beharrlich weigerte, verschiedentlich angebotene Mittel des Bundes (zuletzt sogar ausdrücklich für den Erhalt der deutschen Welterbestätten) zur Abdeckung der Mehrkosten auch nur anzufragen. Und die gleiche Landesregierung ist es, die bereitwillig für den Citytunnel in Leipzig allein im Jahr 2009 Mehrkosten in Höhe von 58 Mio. € übernimmt. Nach jüngsten Schätzungen erwartet Leipzig übrigens insgesamt 177 Mio. € Mehrkosten. Dafür bekommt man in Dresden einen ganzen Elbtunnel incl. Anbindung – nur mal so als Vergleich.

Phase 3: Der Tunnel ist nicht genehmigungsfähig.

Die Vokabel „genehmigungsfähig“ entstammt dem Verwaltungs-Sprech, sprang etwa im Sommer/Herbst 2008 in den allgemeinen Sprachgebrauch über und wird seither von den Brückenfreunden eifrig verwendet, um Zweifel an der Tunnelalternative zu säen und zu kultivieren. Mangels anderer Einwände wurde die Behauptung, der Elbtunnel sei nicht genehmigungsfähig, zwischenzeitlich zum zentralen Argument gegen die Tunnelalternative aufgebaut. Nachdem sich herausstellte, dass gerade das aus der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts nun nicht herauszulesen ist (das Gericht sagt nur, der Elbtunnel sei aus Naturschutzperspektive nicht die Vorzugsvariante), versuchen die Brückenfreunde verzweifelt, das mit aller Gewalt in das Urteil hineinzuinterpretieren.

Nun wird es erst richtig bizarr: Bereits ein juristischer Laie kann erkennen, dass in der Urteilsbegründung von „nicht genehmigungsfähig“ keineswegs die Rede ist. Zudem gibt es inzwischen Gutachten, die eben das weniger verklausuliert bestätigen. Die Brückenfreunde wissen das. Und trotzdem schreibt Helma Orosz dem Welterbekomitee einen Brief, in dem sie behauptet, das Gericht hätte den Elbtunnel als nicht genehmigungsfähig eingestuft und damit sei eine vollkommen veränderte Situation eingetreten und man könne ja nun gar nicht mehr anders und überhaupt … Das schreibt sie wider besseren Wissens. Und das erzählt sie auch jedem, der danach fragt. Wider besseren Wissens. Und schlimmer noch: die Dresdner Lokalpresse druckt diesen Unsinn fleißig ab. Wider besseren Wissens.

Wer will sich da noch wundern, dass es so weit hat kommen können mit Dresden?

Bezug nehmend auf das Interview mit OB Helma Orosz in der SZ vom 26.05.2009 stellt die Dresdner Welterbebewegung fest:

Die Behauptung, „ein Tunnel ist aus Naturschutzgründen nicht genehmigungsfähig“, ist fachlich falsch. Mehrere unabhängige juristische Gutachten kommen einhellig zu dem Schluss, dass das Verwaltungsgericht Dresden dies im gesamten Urteil nicht formuliert hat. Ein Tunnel ist rechtlich durchaus genehmigungsfähig. Diese Behauptung ist politisches Wunschdenken. Sie dient dazu, im Nachhinein den Bau der Brücke als unumgänglich darzustellen und die UNESCO mit der selbst geschaffenen Macht des Faktischen unter Druck zu setzen.

Die Behauptung, die UNESCO hätte Dresden „schlecht behandelt“, ist nicht zutreffend. Die UNESCO war jederzeit zu substantiellen Gesprächen bereit. Die Stadt Dresden hat eigenmächtig das Mediationsverfahren mit der UNESCO abgebrochen. Zu keiner Zeit hat die Stadt Dresden die von der UNESCO seit drei Jahren geforderte – und technisch nachweislich mögliche – Tunnelvariante ernsthaft in Betracht gezogen.

Die Behauptung, „Brücke und Welterbe sind vereinbar“, ist grotesk und zeugt von einem gespenstischen Realitätsverlust. Nicht nur, dass Helma Orosz damit jede fachliche Aussage der UNESCO negiert. Nach dieser Logik kann in Zukunft jeder weltweit nach eigenem Ermessen festlegen, was welterbeverträglich ist und was nicht.

Die Behauptung, „die Brücke ist nur ein winziger Abschnitt im Welterbegebiet, der Rest bleibt unberührt“, zeigt, dass Helma Orosz nicht verstanden hat, warum Dresden Welterbe geworden ist. Das Welterbe Dresdner Elbtal besteht ja gerade aus dem Zusammenklang des Gesamtkunstwerkes Landschaft und Bebauung. Würde man dem Kölner Dom einen Turm abreißen, wäre er zwar noch zu sehen, aber kein Gesamtkunstwerk mehr – oder eben ein beschädigtes.

Fazit: Frau Orosz kämpft nicht für das Welterbe, sondern lediglich aus Imagegründen für den Erhalt des Titels. Allerdings ohne die dahinter stehenden kulturellen und geistigen Grundlagen des Welterbegedankens zu akzeptieren.

Thomas Löser sagte in diesem Zusammenhang: „Es ist rational nicht mehr nachvollziehbar, warum die Dresdner CDU ohne Not das Welterbe in Dresden aufs Spiel setzt. Entweder ist sich Frau Orosz tatsächlich nicht bewusst, wie ernst die Lage ist. Oder sie versucht, die Dresdner Bevölkerung aus wahltaktischen Überlegungen bewusst zu täuschen, um vom völligen Versagen der politischen Entscheidungsträger abzulenken.“

Im Juni wird Dresden wohl den
Welterbetitel der UNESCO verlieren

Ein Beitrag in der
Süddeutsche Zeitung
vom 16./17.05.2009

Zynischer geht’s nicht. Bei einer Tagung über die kulturellen Folgen des demographischen Wandels im Hygiene-Museum in Dresden hat Sachsens umstrittener Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) am Donnerstag mehr Kultur-Engagement von seinen Bürgern gefordert: „Wenn es uns gelingt, dass Staat und Bürger weiter gemeinsam Verantwortung für ihre Kultur übernehmen, dann werden die kulturellen Kräfte unseres Landes nicht schwächer, sondern stärker.“ Armes Sachsen! Nirgendwo arbeitet die Politik in Kulturfragen fanatischer gegen den erklärten Willen der Bevölkerung. Die Bürger Dresdens haben die „Verantwortung für die Kultur“, die Tillich einfordert, in imponierender Weise wahrgenommen, als sie gegen den Bau der Waldschlösschenbrücke im Dresdner Elbtal protestierten und so die ungeheure Blamage der Aberkennung des Weltkulturerbetitels durch die UNESCO verhindern wollten. Die Antwort der Politik hätte nicht brutaler ausfallen können: Im Herbst 2007 rückten die Baumaschinen an und verwüsteten den Talhang, der bislang als Aussichtsbalkon in Richtung Innenstadt gedient hatte, und die am anderen Ufer gegenüberliegende Auenlandschaft auf einer Breite von mehreren hundert Metern so gründlich, dass auch dann, wenn das Wahnsinnsverfahren jetzt noch gestoppt werden würde, die Schäden für die Landschaft irreparabel sind. Die jüngsten Luftaufnahmen von der Baustelle lassen alle Phantasien von Verwüstung verblassen. Jedem, der sie sieht, ist klar: Unter dieser Brücke wird nie mehr etwas Lebendiges keimen.

So kann man es fast als schicksalhafte Fügung empfinden, dass einen Tag nach Tillichs anmaßender Forderung aus Paris die Nachricht durchsickerte, das Welterbezentrum der UNESCO habe seinen 21 Mitgliedsstaaten empfohlen, auf der Jahressitzung am 23. Juni in Sevilla das Dresdner Elbtal wegen des brutalen Brückenbaus und der Negierung aller internationalen Warnungen endgültig von der Liste der Welterbestätten zu streichen. Ausgerechnet das altberühmte europäische Kulturzentrum Dresden wird also demnächst jene peinliche Demütigung als Kulturstandort erleben, die Köln vor einigen Jahren durch Einlenken beim Hochhausbau noch einmal vermeiden konnte. Die Schuldigen in Dresden sind leicht zu benennen: Es sind die Politiker von CDU und FDP, die das Ansehen der Stadt aufs Spiel setzen.


Anmerkung: Im Forum der Süddeutschen Zeitung kann man unter dem Titel „Weltkultur in Gefahr“ eine angeregte Diskussion zu diesem Beitrag verfolgen. Sie gibt den Verlauf wie auch die Verhärtung der Fronten im Dresdner Brückenstreit plastisch wieder. Es verwundert nur eines: Die Brückenfreunde wissen die Demokratie und das Recht auf ihrer Seite. Sie sehen, dass ihr Anliegen gegen alle Widerstände durchgesetzt wird. Warum freuen sie sich dann nicht? Warum nur klingen sie so gereizt? Erkennen auch sie, dass in Dresden nicht nur Recht gesprochen, sondern Gerichte auch instrumentalisiert wurden? Sehen auch sie, dass in Dresden der Bürgerwille nicht nur respektiert, sondern gelegentlich auch ignoriert wird? Ärgert es sie vielleicht, dass die UNESCO unabhängig genug ist, frei zu urteilen: Ihr zerstört das Welterbe der Menschheit! Ärgert es sie, dass die UNESCO ihnen den Spiegel vorhält und kein juristischer oder politischer Winkelzug sie daran hindern wird?

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