… oder: Wunderland wird aberkannt

von Johannes Hellmich

„Was wollen die Brückengegner jetzt noch erreichen? Dass unsere Stadt mit der Streichung des Dresdner Elbtals aus der Liste der Welterbestätten bestraft wird oder dass der Eintrag in der Liste erhalten bleibt? Wir kämpfen für den Erhalt. Wir fordern die Brückengegner auf, sich in einem ersten Schritt mit uns dafür einzusetzen, dass über den Verbleib auf der Liste der Welterbestätte erst entschieden wird, wenn die Brücke fertig ist.“

„Alle Jahre wieder“ nannte die Bürgerinitiative Pro Waldschlösschenbrücke ihre Pressemitteilung einige Tage vor Sevilla. Das Weihnachtslied sollte wohl die Entscheidungsschwäche des Welterbekomitees illustrieren. Dr. Brauns und Köhler-Totzki glaubten vermutlich bis zuletzt, Herren des Geschehens zu sein. Als falsche Propheten verbreiteten der Richter und sein Lenker munter weiter, dass alles gut wird: „Die Situation ist nicht anders als letztes Jahr. Auch da stand scheinbar unverrückbar fest, dass das Dresdner Elbtal von der Liste der Welterbestätte gestrichen wird, wenn wir weiterbauen. Kurz vor der Sitzung des UNESCO-Komitees war es dann anders.“

Die beiden hatten sich offenbar aus der Wirklichkeit längst verabschiedet. Zwar war die Situation tatsächlich nicht anders. Der Beschluss des Welterbekomitees vom Vorjahr war vom Vertragspartner Deutschland wie von der sächsischen Kulturmetropole in gewohnter Weise schlicht ignoriert worden. In Quebec gelang es dem NGO-Repräsentanten Ralf Weber mit guten Gründen, Hoffnung im Interesse aller Beteiligten zu machen. Diesmal jedoch wollte eine Parteisoldatin ohne jegliche Kompromissbereitschaft mit dem Kopf durch die Wand. Dort war allerdings auch für Milbradts Wunderwaffe kein Durchkommen. Im Endspurt ums Welterbe hatte Helma Orosz die Erfolgschance für den Titelerhalt auf gerade mal 30 Prozent herabgestuft. Zuwenig. Vor deutscher Penetranz in geheime Abstimmung geflüchtet, erteilte eine Zweidrittelmehrheit des Welterbekomitees den weltfremden Forderungen die verdiente Abfuhr.

Hätte ein rechtzeitiges Einlenken der Brückengegner daran etwas ändern können? Meinte man bei der Union allen Ernstes, die UNESCO-Gremien warteten auf Beschlussempfehlungen der Dresdner Elbwiesenfreunde? Aber selbst wer um des Dresdner Ansehens willen Frau Orosz in Carrolls Kaninchenbau folgen wollte, musste schnell steckenbleiben: Welchen Interpretationsspielraum ließen Aachener Gutachten, Rote Liste und der Komitee-Beschluss von Quebec 2008 denn überhaupt zu? Wie sollte man sich die Lügen, die stets so plausibel klangen, zurechtbiegen, die eine unionshörige sächsische Ingenieurskammer zur Tunnelalternative in Umlauf brachte. In den Chor von der Vereinbarkeit der Brücke und des Welterbes einzustimmen hätte auch bedeutet: Im Zweifelsfall sollen Lokalpolitiker nach eigenem Gutdünken bestimmen, was Welterbe ist. Und: Wir retten die Verpackung und verzichten auf den Inhalt. Genau deshalb heißt die Forderung der Bürgerinitiativen bis heute nicht: „Titel retten!“ – sondern: „Welterbe erhalten!“

Eine Gleichschaltung in der Brückenfrage, wie sie bei Sachsens Christ- und Freidemokraten möglich war, eine Brüskierung vermeintlicher Renegaten wie bei der Säuberungsaktion „Totalitäre Eliten“ 2007; all das war in der Welterbebewegung unvorstellbar. Die Freiwilligkeit des Bürgerengagements entzog sich stets berechnender Disziplinierung. Das Ziel des Welterbe- und Elbwiesen-Erhalts ist verantwortliche Übereinkunft unabhängiger Bürger. Der Weg zum Tunnelkompromiss war für manchen schwer genug, der von Brauns und Köhler-Totzki geforderte erste Schritt also längst getan. Räson bleibt auf diesen Tag: Was nützt dieser Stadt und ihren Bürgern. Politisches Lavieren blieb schon deshalb unmöglich. Schon der Begriff Brückengegner suggeriert eine Verschworenheit, gar eine Borniertheit, die zu keinem Zeitpunkt bestanden. Schock und Wut über die Dimension des Bauvorhabens und die Kaltschnäuzigkeit der Union in Stadt und Land saßen gleichwohl bei vielen tief. Interventionsversuche, den verkehrspolitischen Größenwahn zu stoppen (auch von der UNESCO, als erhoffte Stimme der Vernunft), hätte es zweifellos auch ohne Günter Blobel gegeben. Der amerikanische Freund Dresdens muss nicht entlastet werden. Aber: in ihm den Schuldigen zu sehen, zeigt einmal mehr die Verlogenheit der Kläger. Die Internationalisierung der Konfrontation war gar nicht zu vermeiden, denn Dresden selbst suchte seit vielen Jahre Anschluss an die Welt und ihre Hilfe.

Dass der Konflikt überregional ausgetragen wurde, lag nicht an einer Mentalität des Nestbeschmutzens, sondern vor allem an der Gesprächsverweigerung von Stadtverwaltung und Staatsregierung. Die begründeten Bedenken vieler – auch prominenter – Bürger wurden überheblich beiseite geschoben. Gerade Funktionäre und Repräsentanten der Union berauschten sich stattdessen zunehmend an einem irrationalen Bild Dresdens als Nabel der Welt, das mit Frauenkirche, Grünem Gewölbe und ein bisschen Hightech-Industrie glaubte, nun selbst Maßstäbe setzen zu müssen. Aus einer bürgerlich-humanistischen Großstadt mit protestantischer Selbstbescheidung wurde eine Kulisse für herausgeputztes Politstadl. Aus Kunst ist Künstlichkeit geworden. Die unüberschaubare Fülle immer größerer Events und Kuriositäten können die Leere dieses Wunderlandes nicht ausfüllen. Die Zerrissenheit seiner Bürgerschaft und verlorengegangenes urbanes Kulturverständnis sind nicht durch Marketingaktionen und Gute-Laune-Aufrufe zu heilen.

Während die Risse auch in der Fiktion vom Wirtschaftswunder immer größer werden, bleibt die Realisierung der Waldschlösschenbrücke offenbar weiter wichtigste Herausforderung der Regierenden. Eine sozialistisch anmutende Schilderung von Baufortschritten und die euphorische Begrüßung angelieferter Stahlteile als Daily Soap in der Lokalpresse lassen den Beobachter verwundert die Augen reiben. Gerade hat Dresden seinen Ruf als Kulturmetropole verspielt – und der Leser wird über die kleinen Gewohnheiten der Brücken-Brummifahrer unterrichtet. Jeder, der die Baustelle besucht, kann sehen, dass es fast unmöglich geworden ist, den Tunnel und das Welterbe zu retten. Was bezweckt diese Begleitmusik?

Gibt es in dieser Situation noch Hoffnung auf den so lange ersehnten Kompromiss? In Carroll’s Erzählungen sagt Alice zur weißen Königin, es sei unmöglich, sich rückwärts durch die Zeit zu bewegen. Die weiße Königin antwortet ihr, Unmögliches zu glauben, sei nur eine Sache der Übung. Als sie selbst jung war, habe sie schon vor dem Frühstück bis zu sechs unmögliche Dinge geglaubt. Ob das Wunderland, in das uns die sächsische Union geführt hat, realer ist, als die Bewahrung des Welterbes, muss sich noch herausstellen. Ob wir ein Stück umkehren können, um neu zu beginnen, wird sich im Herbst zeigen. Die klagenden Umweltverbände verdienen unsere Solidarität. Bis dahin darf am Unmöglichen festgehalten werden.

Carrolls weißes Kaninchen begegnet uns in einer modernen Geschichte wieder. Dort führt es den Helden Neo, anders als Alice, in die Wirklichkeit. Sollten Sie also nachts an der Dresdner Oper wiederholt riesige Stahlteile vorüberhuschen sehen, schenken Sie dem keine besondere Beachtung, es ist vielleicht nur eine Störung der Matrix.

Die Lee(h)re der Flüsse

Die Bürgerinitiative Welterbe Dresdner Elbtal lädt für Donnerstag, den 23.07.2009, ab 17:30 Uhr an das Dresdner Königsufer (unterhalb der Filmnächte) zu einem Picknick ein. Damit soll der Musiker und Autor Heinz Ratz in Dresden gebührend empfangen werden. Im Rahmen seines Projektes „Die Lee(h)re der Flüsse“, welches am 20.05.2009 in Lindau am Bodensee startete, kommt er am 23.07.2009 nach Dresden. Er erschwimmt Spendengelder für lokale Artenschutzprojekte, macht dazu in 52 Städten halt und gibt abends mit bekannten Musikern ein Konzert.

Vor Ort wird auch Axl Makana von Mutabor sein, der das gemeinsame Abendkonzert mit Heinz Ratz um 21:00 Uhr in der Groovestation (Katharinenstraße 11-13) gestalten wird.

Mit einem lockeren Picknick am Königsufer sollen die Ziele der Bürgerinitiative Welterbe Dresdner Elbtal in Erinnerung gebracht werden: der Schutz der Elblandschaft in ihrer Einzigartigkeit, der Natur- und Gewässerschutz, ein vernünftiger Hochwasserschutz und die Bewahrung des Naherholungswertes.

Bringen Sie unbedingt eine Decke mit! Damit es schön bunt wird, können Sie natürlich auch Schirme, Hüte, Bänder usw. mitbringen. Für das leibliche Wohl wird gesorgt – mit freundlicher Unterstützung der Tafel Dresden. Mitschwimmen in der Elbe ist natürlich erlaubt, es geschieht aber auf eigene Gefahr.

von Johannes Hellmich

Wolfgang Donsbach vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden erforscht die Meinungen sächsischer Bürger. Seine Erhebungen überschreiten, wie auch die Bewertungen seines Kollegen Werner Patzelt, gern die schwer auszumachende Grenze zwischen Analyse und Wählerbeeinflussung. Dabei ist Wolfgang Donsbach immer noch etwas schneidiger vorgegangen, wenn es darum ging, durch geschickte Fragestellungen die Antworten der Bürger im Sinne der Auftraggeber zu formen.

Nun hat Herr Donsbach einen offenen Brief an die Dresdner geschrieben: „Dresden – wache auf!“ Veröffentlicht haben ihn die Sächsische Zeitung und der Presseclub. Andere Medien werden vermutlich folgen. Anlass des Brandbriefes ist der Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini am 1. Juli. Das Verbrechen selbst wurde in der Lokalpresse als mittelgroße Sensation abgehandelt; die Unfähigkeit, die Schwere des Vorfalls zu erkennen, war allen Medien gemein. Kommunalverwaltung und Landespolitiker hatten sich in die Sommerferien verabschiedet und waren nicht willens, eines Mordes wegen den Urlaub zu unterbrechen. Tatsächlich: Hätte es in der islamischen Welt nicht unerwartet große Proteste gegeben, die Sache wäre längst verdrängt von den Highlights der Filmnächte und alltäglichen Schreckensmeldungen. Selbst dem nun international lautstark erhobenen Vorwurf einer deutschen Islamophobie gegenüber zeigten sich Politiker und Presse hilflos. Die Sächsische Zeitung hatte in einem Kommentar keine anderen Sorgen, als sich nach zwei Absätzen politisch korrekter Betroffenheit am Trittbrettfahren des iranischen Präsidenten zu reiben.

In diese Sprachlosigkeit hinein also ertönt Donsbachs Appell. Aber statt die geistig-moralische Verwahrlosung dieser Stadt unmissverständlich zu benennen, wird sein Aufruf zum weiteren Skandal: Es ist genau diese Art des Umgangs mit Wahrheit, welche das Klima in Dresden schuf, das Donsbach nun beklagt. Symptomatisch für jene Heuchelei, die in Dresden offenbar als Grundkonsens verstanden wird, ist sein Lob für die Rede des 1. Bürgermeisters Dirk Hilbert, die nun an Peinlichkeit kaum zu übertreffen war und die in der überregionalen Presse glücklicherweise keine Erwähnung fand. Mit seinem Beifall für die grauenhaften Phrasen Hilberts bleibt Donsbach indes konsequent. Sein sogenannter offener Brief, über dessen Motivation nur spekuliert werden kann, krankt am gleichen grundsätzlichen Problem, wie der Fehltritt des städtischen Repräsentanten: Beiden geht es mit keiner Silbe um das persönliche Leid, dass der Mord verursacht hat. Beiden geht es nicht um den Menschen Marwa El-Sherbini und nicht um die Trauer der Familie. Hilbert und Donsbach erschrecken vor allem über die Folgen des Geschehens – für den Wirtschaftsstandort und das Renommee Dresdens.

„Dresden ist eine weltoffene Stadt … Wir brauchen Ausländer für den Hightech-Standort Dresden … Ausländer gehören ins Stadtbild.“ – In unendlichen Varianten hatte Hilbert vor den Zuhörern beteuert, dass wir auf Ausländer als Beteiligte an der Wertschöpfung nicht verzichten können, dass sie als folkloristisches Element eine Bereicherung für unsere Kunst- und Kulturstadt sind. Auch das: Als Beweis für eigene Ausländerfreundlichkeit zeigte er seine mitgebrachte koreanische Ehefrau. Dass ausländische Mitbürger zuallererst Menschen sind, die ein Recht auf Unversehrtheit und Menschenwürde haben, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie für Dresdens Wohlfahrt arbeiten oder nicht und völlig unabhängig übrigens auch von ihrem Integrationsgrad, kam bei Hilbert nicht vor. Das wäre aber schon genug gewesen. Ein Bürgermeister muss sich zuerst fragen, ob ausländische Mitbürger in ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit das Maß an Achtung erfahren, das auch den Geringsten unter uns vor menschlichem Desinteresse bewahrt. Mit Leerformeln wie: Wir haben doch schon viel erreicht, aber man müsse sehen, was man bei der Integration noch verbessern könne, hat Hilbert gezeigt, dass ihn die Situation völlig überfordert.

Der Aufruf von Donsbach ist nicht besser. Seine Mahnung, Dresden solle aufwachen, bezieht sich trotz vieler durchaus interessanter Einsichten letztlich auf das gefährdete Image der Stadt. Das ist die eigentliche Enttäuschung. Donsbach sucht nach den Ursachen des Verbrechens nur, insoweit dadurch die richtige Strategie gefunden werden kann, auf einen weiteren Ansehensverlust Dresdens zu reagieren. Er stellt zunächst fest, was jeder längst wache Bürger weiß:

Ein Drittel der Dresdner hat Sympathien für die Idee, Ausländer wieder nach hause zu schicken, wenn Arbeitsplätze knapp werden, ein Viertel fühlt sich angesichts „der vielen Ausländer“ (nebenbei: Dresden hat von allen deutschen Großstädten die wenigsten Ausländer) „wie ein Fremder im eigenen Land.“ Das ist NPD-Gedankengut bei einem maßgeblichen Teil der Bevölkerung. Dabei muss man bedenken, dass solche Antworten im Interview sogar eher noch positiv verzerrt sind.

Dann resümiert er:

Die Stadt diskutiert vorrangig über Veranstaltungskonzepte à la Riesa und die Zukunft des Kulturpalasts, Maßnahmen, die unter dem gegenwärtigen Image Dresdens keinen zusätzlichen Ausländer anlocken werden. Die Einsicht in das Problem, dass es nicht nur um verrückte Einzeltäter, sondern um weit verbreitete Haltungen geht, wäre der erste Schritt zur Lösung.

Wie diese Einschätzung zu seinem Lob für Hilberts behaupteter Weltoffenheit Dresdens passt, darüber gibt Donsbach keine Auskunft.

Neigen Dresdner also genetisch bedingt mehr zu Fremdenhass als andere Bürger in Deutschland? Ist die Kluft zwischen verkündeter Weltoffenheit und tatsächlicher Xenophobie unüberbrückbar? Ist es mit halbherziger Förderung von weiteren Integrationsprojekten getan? Zumindest Letzteres scheint fraglich, zumal die Opferfamilie nun gerade allen Vorstellungen einer gelungenen Integration entsprach und der Täter sich nicht außerhalb hier herrschender Vorurteile bewegte. Folgt man Donsbach, sollte ja eher manch ehrbarer Dresdner Bürger sein Integrationsverhalten professionell überprüfen lassen. Muss wirklich die ganze Stadt aufwachen, wie es der Kommunikationswissenschaftler fordert?

Es hat in den vergangenen Jahren ungezählte Aktivitäten gegen Fremdenfeindlichkeit in unserer Stadt gegeben. Erinnern wir uns, dass es erst zum letzten 13. Februar die Dresdner Union ablehnte, mit anderen demokratischen Kräften des linken Spektrums, den Gewerkschaften und Kirchen ein klares Zeichen gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit zu setzen. Erinnern wir uns an den Plan des Fraktionschefs der Sachsenunion, Steffen Flath, vor einem Jahr den Landtagswahlkampf erneut durch eine Gleichsetzung von Linken und NPD in Gang zu bringen. Die menschenverachtende Ausländerfeindlichkeit der Nationaldemokraten wurde damit im Grunde relativiert. Genau das ist es, was Ausländerhass und Islamophobie begünstigt. Zur Wahrheit gehört: Nicht Flath hat aus Anstand auf diese Richtungsentscheidung verzichtet; gescheitert ist die erneute Rote-Socken-Kampagne auf Kosten ausländischer Mitbürger an dem Sozialdemokraten Karl Nolle und seiner Blockflötendiskussion. Der politische und kulturelle Grabenkampf nach dem Rechts-Links-Schema wird besonders in Dresden mit dramatischer Härte geführt. Mit der Projektion des Feindbildes vom links-grünen Gutmenschen hat kleinbürgerliches Denken eigene moralische Selbstbeherrschung im Laufe der Jahre völlig aufgegeben, dominiert aber zugleich den geistigen Mainstream in Stadt und Land.

Die latente Duldung von Gleichgültigkeit und Intoleranz zugunsten einer propagierten sächsischen Volksgemeinschaft ist eine Ursache für die Akzeptanz des von Donsbach angeprangerten Gedankenguts in breiten Kreisen der Bürgerschaft. Viele dieser Bürger dürfen zum Wählerklientel der Union gerechnet werden. Das Bestreben, Dresden und Sachsen kulturell vom Rest der Welt abzuschotten, hat die Tendenz zu Selbstgenügsamkeit und -gerechtigkeit verstärkt. Ein Festklammern an langjähriger gesellschaftlicher Stagnation soll die Unveränderlichkeit sächsischer Machtverhältnisse garantieren. An der Schaffung dieses Klimas sind Meinungsforscher wie Donsbach und Patzelt maßgeblich beteiligt. Der von der Konrad-Adenauer-Stiftung protegierte Donsbach muss sich fragen lassen, ob er nicht selbst an der unerträglichen Heuchelei der Inkaufnahme fremdenfeindlicher Grundeinstellungen in konservativen Wählerschichten mitwirkt. Sein Appell könnte gerade dort auf taube Ohren stoßen. Vielleicht wird man ihm antworten: „Wir brauchen die Ausländer nicht. Dresden bleibt trotzdem eine weltoffene Stadt.“ – Hoffentlich wacht dann Wolfgang Donsbach auf.

… kann die Politik in Dresden und Sachsen noch einiges von den Rheinländern lernen:

Joachim Hofmann-Göttig ist u.a. Regierungsbeauftragter für die UNESCO-Welterbestätten in Rheinland-Pfalz und war wegen des geplanten Brückenbaus im Mittelrheintal jüngst auch in Sevilla. Dazu gab er TV-Mittelrhein am 01.07.2009 ein Interview, welches insbesondere für unsere Brückenfreunde zur Pflichtlektüre gemacht werden sollte.

Übrigens: Joachim Hofmann-Göttig tritt am 27.09.2009 als „unabhängiger Bewerber“ zur Urwahl des Oberbürgermeisters von Koblenz an. Er wirbt um Stimmen damit, dass er mit der UNESCO eine Lösung für das Welterbe finden will – und nicht etwa, dass trotz der UNESCO eine Brücke gebaut wird. Das Mittelrheintal ist vom Elbtal weiter entfernt, als man glauben mag.

Humpty Dumpty

von Wilhelm Friedemann

Stadtrat Georg Böhme-Korn hat am 01.07.2009 auf der WebSite der Brückenfreunde eine „Reaktion und Richtigstellung der CDU-Fraktion des Stadtrats Dresden zu zwei Artikeln in der Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht. Wie in einem Interview des Elbhang-Kuriers, das bereits an anderer Stelle kommentiert wurde, ist es eine Ansammlung von Falschaussagen. Es wäre zu wünschen, dass die „Süddeutsche Zeitung“ den Beitrag ungekürzt veröffentlicht. Besser kann Inferiorität gar nicht illustriert werden.

Viel Kommentar ist nicht erforderlich, denn wie schon in besagtem Interview ist die sachliche Substanz mager. Georg Böhme-Korn beginnt mit den üblichen Beschimpfungen der UNESCO und Francesco Bandarins („trickreich“, „unglaublicher Mangel an Seriosität“), von Nobelpreisträger Günther Blobel („anmaßend“), Dresdner Bürgern („weitgehend unbeleckte … Gutmenschen“), und Journalisten der Süddeutschen („Unsinn und Unwissen“, „bequemes Epigonentum“). Dann beginnt seine Argumentation. Er verweist auf die verkehrstechnische Notwendigkeit der Brücke. Abgesehen davon, dass selbst diese umstritten ist, erklärt das natürlich nicht, warum die Lösung des Problems nicht in einer welterbeverträglichen Weise mit einem Tunnel herbeigeführt werden kann. Dankenswerter Weise stellt er aber auch klar, dass die Beschlüsse zum Brückenbau

aus reiner Verkehrsideologie,
das Landschaftsbild spielte dabei keine Rolle

gefasst wurden.

Es geht weiter: Georg Böhme-Korn behauptet doch immer noch, dass die UNESCO bei der Antragstellung bestens informiert gewesen sei. Dass dies die Lebenslüge der Brückenfreunde ist, ist längst bekannt. Das im Auftrag der Stadt Dresden (!) erstellte Gutachten der RWTH Aachen, in dem die katastrophalen Folgen des Brückenbaues analysiert wurden, bezeichnet er als „bestelltes Gutachten eines Professors aus Aachen – sehr zweckmäßig vom anderen Ende Deutschlands.“

Immer wieder von gehässigen Beschimpfungen unterbrochen („… betrat unser Günter Blobel forsch die Bühne … wurden dem Welterbekomitee … völlig ungeprüft Schauermärchen aus dritter Hand aufgetischt … die 21 hohen Beamten aus aller Herren Länder verbindet vor allem eins: Ihr Kenntnisstand zu Dresden liegt nahezu bei Null …“) setzt er damit fort, den Diplomaten des Auswärtigen Amtes zu unterstellen, sie hätten aus parteipolitischen Gründen gegen die Interessen Deutschlands gehandelt: „Und die deutsche Beobachterdelegation unter Leitung des SPD-geführten Auswärtigen Amtes? Hat sie die nach dem Grundgesetz für die Brückenfrage zuständige sächsische Staatsregierung ordentlich vertreten? Mitnichten!“ Dass die Bundesregierung und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU!), wie ehrlich auch immer, sich gegen die Beeinträchtigung des Dresdner Welterbes ausgesprochen hatten, lässt er unerwähnt.

Einer seiner Anregungen kann man nur zustimmen: Dem Hinweis auf den Film „All the President’s Men“. Es wäre in der Tat eine Untersuchung wert, aus welchen Gründen die Brückenfreunde Dresden und Deutschland in diese peinliche Lage gebracht haben.

Der Titel des Films ist übrigens dem alten Reim entlehnt:

Humpty Dumpty sat on a wall,
Humpty Dumpty had a great fall,
All the King’s horses and all the King’s men,
Couldn’t put Humpty together again.

Auch diesem Humpty Dumpty ist wie jenem nicht zu helfen.


Hinweis: Wer weniger aufgeregtes über den Stand der Dinge lesen möchte, dem sei das Positionspapier der Welterbebewegung und die Faktensammlung zum Dresdner Brückenstreit wärmstens empfohlen.

Dr. Heinrich Magirius spricht auf dem Welterbeforum am 14.03.2009 in Dresden über die Gestalt der Waldschlösschenbrücke – und WiesenSchreck hilft uns mit einem Video auf YouTube, zu fassen, was da auf uns zukommt …

von Wilhelm Friedemann

Der Minister im Bundeskanzleramt, Thomas de Maizière, hat der Chemnitzer Freien Presse ein Interview gegeben. Dieses Interview unter der Schlagzeile „De Maizière: Verlust ist zu verschmerzen“ erlaubt einen bemerkenswerten Einblick in seine Gedankenwelt. Sehen wir es uns einmal genauer an:

Freie Presse: Die Aberkennung des Titels für das Dresdner Elbtal ist jetzt Realität: Wie weit reichen die Folgen dieser Entscheidung?

De Maizière: Ich bedauere dieses Votum sehr. Es ist auch ein unfreundlicher Akt gegenüber der Bundesrepublik im Ganzen.

Das ist nun erst einmal keine Antwort auf die einleitende Feststellung und die daraus folgende Frage. Herr de Maizière bedauert also dieses Votum. Was hat er gegen die Ursachen für dieses Votum unternommen? Hat er nicht seine Position im Bundeskanzleramt genutzt, dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin zu vermitteln, es handele sich um ein regionales Problem und die Bundesregierung sei nicht zuständig? Hat er nicht massiv Einfluss auf Außenministerium und Verkehrsministerium eingewirkt, um Aktivitäten zum Schutz des Welterbes zu verhindern? Hat er nicht tatenlos zugesehen, wie seitens maßgebender sächsischer Politiker die UNESCO, ein Vertragspartner der Bundesrepublik, fortwährend verunglimpft wurde? Was hat er gegen diese unfreundlichen Akte unternommen? Nein Herr de Maizière! Unfreundlich war es vielmehr (und das ist freundlich formuliert), trotz der eindeutigen Stellungnahmen aller Fachleute, aller an der Schönheit der Stadt Dresden interessierten und vor allem der UNESCO an dem zerstörerischen Bauwerk festzuhalten, obwohl es Alternativen gab und gibt, welche es ermöglichten, die Interessen der Verkehrsplanung mit denen des Schutzes der gewachsenen und gestalteten Schönheit der Stadt zu verbinden.

Freie Presse: Hatten Sie mit einem weiteren Aufschub gerechnet?

De Maizière: Ja, und das hätte auch Sinn gemacht. Ein profundes Urteil über die Einvernehmlichkeit von Brücke und geschütztem Gebiet kann man erst dann treffen, wenn diese tatsächlich steht.

Was ist das für eine Vorstellung? Architektur ist eine Kunst, in der Fehler nicht erlaubt sind. Wenn ein schlechter Entwurf realisiert ist, dann ist der Schaden eingetreten. Ein Architekt muss sich also schon vor dem Bau klar machen, wie er wirken wird. Glücklicherweise gibt es heute dafür das Handwerkszeug. Das sind Simulationen und Gutachten von ausgewiesenen Fachleuten. Und die haben eindeutig ergeben, dass mit dieser Brücke das Welterbe zerstört wird. Das ist ein Befund, der sich mit dem deckt, was jeder empfindet, der sich die Umgebung mit offenem Auge und Herzen ansieht. Es sieht so aus, als wolle Herr de Maizière die experimentelle Architektur einführen: Bauen wir erst einmal und dann überlegen wir, ob wir es so gewollt haben. So mag er als kleiner Junge mit seinen Bauklötzen gespielt haben, im wirklichen Leben aber ist das schlicht verantwortungslos.

Freie Presse: Hat die UNESCO das Debakel mit zu verantworten?

De Maizière: Die Brücke am Standort Waldschlößchen war Bestandteil der Antragsunterlagen für den Welterbestatus. Insofern hat die UNESCO ihr ursprüngliches Urteil, das ja auch Grundlage des überwältigenden Votums der Dresdner für den Brückenbau war, geändert und damit den leidigen Streit mit zu verantworten.

Kein Wort davon, dass in den Antragsunterlagen die Brücke nur in wenigen Nebensätzen als potentielle Möglichkeit erwähnt wurde, dass keine Angaben über ihre Gestaltung gemacht wurden und dass sie durch eine falsche Lageangabe außerhalb des Welterbegebietes verortet wurde. Und mit dem so erschlichenen Welterbestatus wurde die Dresdner Bevölkerung manipuliert und zu ihrem Votum verführt. Es passt in das übliche Muster: Schuldig sind nicht die Brückenbauer, sondern alle anderen, insbesondere die UNESCO und alle, die vor den Folgen des Brückenbaues warnten.

Freie Presse: Welche Folgen hat die Aberkennung für Dresden und seine Attraktivität als Tourismusziel?

De Maizière: Dresden wird immer eine Kulturmetropole ersten Ranges bleiben. Deswegen halte ich den Verlust des Welterbe-Titels auch unter touristischen Aspekten für verschmerzbar.

Hier sehen wir, wie die „Freie Presse“ ihre Schlagzeilen generiert. Aber Herr de Maizière hat durch sein „auch“ die Möglichkeit dazu geboten. Glauben wir es zunächst: Herr de Maizière wird den Verlust des Welterbetitels verschmerzen. Möglicherweise wird er auch die Zerstörung des Welterbes und der Schönheit des Elbbogens verschmerzen, er wird sie vermutlich noch gar nicht wahrgenommen haben. Wenn auch Experten Auswirkungen auf den Tourismus prognostizieren und Herr de Maizière dies leugnet: Es ist irrelevant. Relevant ist die Tatsache, dass Dresden aus Gedankenlosigkeit und Machtbesessenheit um sein Erbe betrogen wird.

Freie Presse: Wird die Stadt zu ihrem inneren Frieden zurückfinden?

De Maizière: Dass eine Brücke wirklich den inneren Frieden einer Stadt stört, das kann ich mir nicht vorstellen. Im Übrigen: Nahezu alle europäischen Metropolen liegen an Flüssen und haben sich beiderseits des Flusslaufes entwickelt. Und Brücken gehören dazu, um Flussufer und Menschen miteinander zu verbinden. Deswegen bedauere ich es, dass die UNESCO der Stadt Dresden die Zeit verweigert hat, um nach dem Bau der Brücke festzustellen, dass sich diese doch sehr harmonisch in das Elbtal einfügt.

Ist es Irrtum oder bewusste Täuschung? Was den inneren Frieden der Stadt stört, ist dass gegen alle Vernunft ein Projekt durchgepeitscht wird, das der Stadt Dresden und ganz Deutschland schweren Schaden zufügt, dass dazu demokratische Mittel missbraucht werden und damit auch dem Ansehen der Demokratie geschadet wird, dass alle warnende Stimmen ignoriert und beleidigt werden und dass ein uninformierter Teil der Bevölkerung zu Worten aufgehetzt wurde, die mancher einmal bedauern wird.

Und endlich sollten die Welterbezerstörer einmal klarstellen, ob sie die Streichung aus der Welterbeliste bedauern wollen oder verschmerzen können. Aber schlechte Verlierer neigen zu Widersprüchen.

Dieses Interview erschien am 25.06.2009 am Tag der Streichung des Dresdner Elbtals von der Welterbeliste, für die Thomas de Maizière eine hohe Mitschuld trägt.

Vom Sinn der Rede

WiesenSchreck hat ein Video auf YouTube veröffentlicht, in dem er ein Zitat aus der Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel für 2009 betrachtet und klarstellt, was sie damit gemeint haben könnte:

von Johann Walter (1496-1570)

1. Wach auf, wach auf, du deutsches Land!
Du hast genug geschlafen,
bedenk, was Gott an dich gewandt,
wozu er dich erschaffen.
Bedenk, was Gott dir hat gesandt
und dir vertraut sein höchstes Pfand,
drum magst du wohl aufwachen.

6. Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt,
will niemand Wahrheit hören;
die Lüge wird gar fein geschmückt,
man hilft ihr oft mit Schwören;
dadurch wird Gottes Wort veracht’,
die Wahrheit höhnisch auch verlacht,
die Lüge tut man ehren.

Mediales TamTam

Eine Sammlung von Rundfunk- und Fernsehbeiträgen zur Aberkennung des Welterbe-Titels findet sich bei umgebungsgedanken.momocat.de.

« Neuere Artikel - Ältere Artikel »